„Diskussion zur Wirksamkeit der Homöopathie wird zu undifferenziert geführt“
Berlin, März 2020. Der Physiker Dr. Stephan Baumgartner ist seit mehr als 10 Jahren in der Grundlagenforschung Homöopathie tätig, er arbeitet an den Universitäten Witten/Herdecke und Bern. Seine Forschung wird von der Homöopathie-Stiftung unterstützt.
Seit mehr als 10 Jahren läuft bereits die Wasserlinsen-Forschung in Ihrer Arbeitsgruppe. Was hat sich in der Zeit ergeben? Welche Ergebnisse brachten diese unterschiedlichen Wege hervor?
Am Anfang haben wir mit einer Studie begonnen, in der wir gesunde Wasserlinsen untersucht haben, ob sie auf potenzierte Substanzen reagieren. Dann haben wir das Modell in zwei Richtungen weiter entwickelt, einerseits in ein Vergiftungsmodell und andererseits in ein Mangelmodell. So haben wir z.B. Wasserlinsen mit Arsen vergiftet und sie dann mit potenziertem Arsen behandelt, oder auch die Pflanzen mit Quecksilber vergiftet und mit potenziertem Quecksilber behandelt. Wir haben aber auch untersucht, ob ein Mangel, zum Beispiel an Kalzium, durch potenziertes Kalzium ausgeglichen werden kann.
Die Ergebnisse sind interessanterweise so, dass potenzierte Präparate sowohl bei einer Vergiftung als auch bei einem Mangel das Wachstum stimulieren können. Wir haben aber gelernt, dass es auf den Grad der Vergiftung ankommt, d.h. wenn die Vergiftung zu stark ist, kann man auch gegenläufige Effekte beobachten, d.h. dass das Wachstum der Wasserlinsen gehemmt wurde.
Was bedeutet das?
Die Kunst bei einem Laborexperiment ist, es so zu designen, dass es die Situation einer therapeutischen Praxis möglichst gut abbildet. Wir schaffen ja eine Art künstliche Krankheitssituation. Wenn wir nun im Labor eine Vergiftung herbeiführen, darf sie weder zu schwach noch zu stark sein. Sonst ist nämlich der Pflanzenorganismus entweder zu wenig geschädigt und reagiert daher mit einer Hemmung des Wachstums, weil er eine Arzneimittelprüfung durchmacht, oder die Vergiftung ist zu stark und er reagiert ebenfalls mit einer Hemmung des Wachstums, weil die Fähigkeit zur Selbstregulation nicht mehr gegeben ist.
Dieses richtige Setting der Versuche musste erst einmal herausgefunden werden. Nun wird deutlich, dass hier keine paradoxen Effekte stattfinden, sondern nachvollziehbare. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Wir haben ein Verständnismodell entwickelt: Nehmen wir an, wir haben einen gesunden Organismus und ich gebe ihm Potenzen, dann ist das im homöopathischen Konzept eine Arzneimittelprüfung, und es wird ihm erst einmal weniger gut gehen. Wenn wir die richtige Dosis an Toxin einsetzen, dann ist er krank, aber noch reaktionsfähig und wird auf Potenzen positiv reagieren. Wenn die Vergiftung zu stark ist, dann wird er gegenläufig oder gar nicht mehr auf Potenzen reagieren können.
Wenn wir jetzt mal vom Labor in die Praxis denken. Würde es dann bedeuten, Homöopathie wirkt über Placebo hinaus – auch beim Menschen?
Es steht für mich inzwischen außer Frage, dass die Wirkung von homöopathischen Präparaten über Placebo hinausgehen kann, vorausgesetzt, dass der zu behandelnde Organismus, seine Symptome und das potenzierte Arzneimittel in einem sinnvollen Zusammenhang stehen. Im Labor habe ich in den letzten 20 Jahren genug Experimente gemacht, um diese Frage für mich beantworten zu können. In Bezug auf eine Wirkung beim Menschen kann ich persönlich keine wissenschaftlich gesicherten Aussagen machen, die auf eigenen Erfahrungen beruhen, da ich selber nicht in der klinischen Forschung tätig bin. Ich kenne aber einige aus meiner Sicht gut gemachte klinische Studien, die zu denselben Schlüssen kommen.
Ist die Behauptung der Homöopathie-Skeptiker, Homöopathie sei eine reine Placebo-Therapie, schwierig zu widerlegen?
Nach meiner Ansicht wird die öffentliche Diskussion zur Wirksamkeit der Homöopathie meistens zu undifferenziert geführt. Grundsätzlich ist eine generelle Aussage, ob ein Arzneimittel über Placebo hinaus wirkt oder nicht, zu pauschal und zu unkonkret. Bei jedem Arzneimittel muss genauer geklärt werden, in Bezug auf welche Beschwerden eine Wirkung vorhanden ist. Nehmen wir zum Beispiel Diclofenac). Die Frage, ob Diclofenac bei Gelenkschmerzen wirkt, ist nach dem derzeitigen Wissenstand in der Regel mit einem Ja zu beantworten. Fragt man jedoch, ob Diclofenac bei Kopfschmerzen wirkt, so ist dies eher zu verneinen. Ebenso verhält es sich mit potenzierten Arzneimitteln. Gemäss homöopathisch-medizinischer Erfahrung wirkt z.B. potenziertes Arnica gut bei Prellungen und Blutergüssen; bei Muskelkater zeigte Arnica in wissenschaftlichen Untersuchungen jedoch nur einen geringen oder keinen Effekt. Es gibt einige Beispiele aus der klinischen Forschung in der Homöopathie, die illustrieren, dass potenzierte Arzneimittel sehr deutliche medizinische Wirkungen entfalten können, wenn ein zu Patient und Erkrankung gut passendes homöopathisches Mittel ausgewählt wird. Zusammengefasst lässt sich sagen, dass die Frage, ob potenzierte Arzneimittel über Placebo hinaus wirken oder nicht, in dieser Allgemeinheit nicht beantwortet werden kann, sondern nur für ein jeweils spezifisches Präparat und spezifische Beschwerden in einem bestimmten Kontext. Potenzen sind Arzneimittel und sollten als solche ausschliesslich gezielt eingesetzt werden.
Wir arbeiten übrigens gerade an einem systematischen Review zur Kritik an der Homöopathie in der Wissenschaft. Der derzeitige Stand ist so, dass wir nur sehr wenige Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften gefunden haben, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
Werden diese Kritik-Publikationen in der Wissenschafts- oder in der Laienpresse veröffentlicht?
Die Laienpresse haben wir nicht analysiert. Wir haben uns darauf fokussiert, wie viele und welche Publikationen es in wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt. Zu diesem Zweck haben wir eine Suche in wissenschaftlichen Datenbanken gemacht und weniger als zehn Artikel gefunden. Dies zeigt, dass die Diskussion zur Wirksamkeit oder Unwirksamkeit der Homöopathie vorwiegend in der Laienpresse stattfindet. Ein entsprechender wissenschaftlicher Diskurs ist praktisch inexistent.
Wann wird es diese Publikation geben?
…hoffentlich noch in diesem Jahr.
Welche Reaktionen gibt es auf Ihre Publikationen oder Vorträge in der Fachöffentlichkeit?
Wenn wir beispielsweise in pharmazeutischen Fachzeitschriften publizieren, gibt es zumeist kein Feedback. Wir haben bisher nicht an pharmazeutischen Fachkongressen teilgenommen. Das wird sich aber in Zukunft ändern. Allerdings denke ich, dass sich das Interesse in Grenzen halten wird, da das Thema Homöopathie in der Fachöffentlichkeit kaum eine Rolle spielt. Das liegt auch mit daran, dass es in Europa keine Professuren oder Universitätsinstitute gibt, in denen die Homöopathie als primärer Schwerpunkt erforscht wird.
Welche Forschung
betreibt die Gruppe außerdem?
Der größte Erfolg im vergangenen Jahr ist die Biokristallisationsforschung,
die wir im European Journal of Pharmaceutical Sciences publizieren konnten.
Dies ist die Publikation mit dem größten experimentellen Datensatz, den es meines
Wissens in der homöopathischen Grundlagenforschung gibt, nämlich 35 unabhängige
Versuche in drei unabhängigen Labors. In den vielfachen Reproduktionen wurden qualitativ
und quantitativ vergleichbare Resultate erzielt. Es liegt aus meiner Sicht eine
sehr hohe empirische Evidenz vor, dass Stannum metallicum D30 von Placebo zu
unterscheiden ist – d.h. dass dieses Präparat eine spezifische Wirkung
entfaltet.
Anmerkung der Redaktion: Für Prof. Harald Walach ist dieses Ergebnis eine ´wissenschaftliche Sensation`. https://www.homöopathie-forschung.info/stannum-d30-laesst-sich-von-placebo-reproduzierbar-unterscheiden/
Auch für einen Teil der Grünen ist die Homöopathie eine unwissenschaftliche Methode, was antworten Sie ihnen auf diesen Vorwurf?
Ich empfehle generell politischen Entscheidungsträgern, den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Kenntnis zu nehmen und sich mit Wissenschaftlern zu unterhalten, die auch wirklich Forschung auf dem Gebiet der Homöopathie gemacht haben. Schaut man bei prominenten Homöopathie-Kritikern unter deren Namen und dem Stichwort Homeopathy mal in der wissenschaftlichen Datenbank PubMed nach, findet man außer systematischen Reviews praktisch keine wissenschaftlichen Originalarbeiten.
Sie geben an verschiedenen Universitäten Vorlesungen zum Thema Homöopathie und Pharmazie – wie ist das Interesse an dem Fach?
Das Interesse hat in meiner Wahrnehmung in den letzten Jahren wieder zugenommen. So gibt es zum Beispiel an der Universität Bern Wahlpflichtveranstaltungen, wo wir Seminare zum Thema Forschung an potenzierten Präparaten anbieten. Das stößt auf großes Interesse, und die Diskussionen sind lebhaft, offen und kritisch.
Vielen Dank!